ADHS – ja und?!
Schülerinnen und Schüler mit ADHS gelten häufig als Schreckgespenster für jeden Unterricht. Der gespensterhafte Schrecken ist aber gar nicht so gross und sogar lernförderlich nutzbar, wenn man betroffene Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen wahr- und ernstnimmt. Das fällt schon mal gleich viel leichter, wenn man die vier Buchstaben dieser Diagnose einfach umdeutet. Legen wir also los:
ADHS – vier Buchstaben mit weitreichender Konsequenz für die Betroffenen und deren soziales Umfeld. Aber was genau ist das eigentlich, dieses ADHS?
Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung
ADHS ist die Abkürzung für eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, die sich als Störung im Verhalten oder der Emotion zeigt. Diese Störung beginnt häufig in der Kindheit oder in der Jugend und gilt als psychische Störung, deren Symptome Probleme mit der Aufmerksamkeit, der Impulsivität oder mit der Selbstregulation sind. In Teilen zeigt sich auch eine starke körperliche Aktivität.
Dabei ist «ADHS … keine Krankheit, die man eindeutig nachweisen oder ausschliessen kann. ADHS hat eher Ähnlichkeit mit Bluthochdruck oder Übergewicht. Wenn man zu viel davon hat, wird es kritisch.» (www.adhs.de)
Steigende Zahl der Diagnosen
Von ADHS sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen und die Zahl der diagnostizierten Fälle steigt. Mittlerweile ist ADHS die häufigste psychische Störung im Kindesalter. Als Antwort auf die steigende Zahl der Diagnosen steigt auch die Gabe von Ritalin an die Kinder, bei denen eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung diagnostiziert wird. Von den Nebenwirkungen, die dieses Medikament hat, können die Betroffenen häufig ein Lied singen.
Etwa zu schnell Auto gefahren?
Was könnten die Gründe für den Anstieg der ADHS-betroffenen Kinder und Jugendlichen sein? Sind die Mütter vielleicht während der Schwangerschaft zu schnell Auto gefahren? Haben sie zu viele Horrorfilme geschaut? Wurden die Säuglinge zu lange oder zu kurz gestillt oder war die Temperatur der Muttermilch nicht in Ordnung? Oder liegt es doch vielleicht gar nicht an der Mutter, sondern am Vater, der zu viel Fahrrad gefahren ist und dadurch seine Spermien negativ beeinflusst hat? Hat er zu viel Alkohol getrunken oder gar zu wenig? Hat er den falschen Beruf? Verfügt die Familie über zu wenig oder zu viel Geld? Oder vielleicht sind diese Fragen alle viel zu abstrus und es wird heutzutage genauer oder zu genau hingeschaut und als Sonderbarkeit definiert, was früher nicht als sonderlich galt?
ADHS – eine (Über-)Forderung für alle
Wie auch immer – die Gründe für die Häufung der Diagnose ist egal. Was zählt ist der Umstand, dass betroffene Schülerinnen und Schüler mit einer ADHS-Diagnose in unseren Schulen unterrichtet werden sollen und Lehrpersonen, Eltern und die Schülerinnen und Schüler selbst durch diese Diagnose stark gefordert, wenn nicht sogar überfordert, sind. Da werden Geschütze aufgefahren und schulische Sonderkonstruktionen entwickelt oder pädagogische Sanktionen erlassen, um diese Kinder im Unterricht halten zu können, um andere vor ihnen zu schützen, um sie vor sich selber zu schützen und sie gleichzeitig irgendwie entlang dem Lehrplan zu fördern und zu entwickeln. Aber funktioniert das? Die Antwort muss wohl eher häufig Nein lauten, wenn man die Frustration der betreffenden Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen und Eltern als Massstab für gelingende Integration von Kindern und Jugendlichen mit ADHS beachtet.
Nicht steuerbare Bedürfnisse verdecken individuelle Kapazitäten
ADHS-Kinder zeigen ihre Bedürfnisse unmittelbar. Diese Bedürfnisse äussern sich ganz individuell und manifestieren sich in vielfältigen Aktionen verbaler und / oder körperlicher Art wie Unruhe, äusserst kurzen Konzentrationsspannen, starken Stimmungsschwankungen, mangelnder Impulsivitätskontrolle und Vielem mehr. Insgesamt verdecken diese Bedürfnisse, die nicht bewusst gesteuert werden können, die Möglichkeiten und Kapazitäten der Kinder. Daher gilt es, diese Möglichkeiten der Kinder aufzudecken und zu entfalten und aus der Entfaltung dieser individuellen Kapazitäten Einfluss auf die unkontrollierbaren Bedürfnisse zu nehmen und zu kontrollier- und steuerbaren Impulsen umzuprogrammieren.
Ruhe bewahren und Dokumentationsmodus in Prozessmodus umwandeln
Diese Aufgabe ist eine herausfordernde und anstrengende aber in hohem Mass lohnende Arbeit, die besonders dann gut gelingt, wenn der Diagnose oder der Vermutung ihres Vorhandenseins im Umgang miteinander weniger Gewicht gegeben wird. Als wichtigste Grundregel hierbei gilt: Ruhe bewahren, immer! Denn gemäss dem physikalischen Grundprinzip erzeugt Druck nur Gegendruck, der immer unkontrollierbarer wird. Auf der Basis von Entspannung und Verständnis gilt es, die betroffenen Kinder mit ihren ADHS-Besonderheiten anzunehmen, sie wahrzunehmen und zu beobachten ohne sie zu überwachen. So gelingt es eher, ihre Kapazitäten zu entdecken und verhaltensförderlich in den Schulalltag einzubinden. Aufgabe der Lehrperson wäre hier nicht Störungen zu diagnostizieren, sondern Handlungsalternativen zu entwickeln, anzubieten und auszuwerten. Und vielleicht bekommt ADHS dann eine ganz neue Übersetzung: Aktionen Durch Handlung Steuern. Und vielleicht trägt diese Umdeutung dazu bei, Kinder und Jugendliche nicht in einem Dokumentationsmodus zu stigmatisieren, sondern in einem Prozessmodus individuell und aktiv zu unterstützen. ADHS ist dann immer noch keine Bagatelle, aber vielleicht eher eine spannend-kreative Entwicklungschance für alle Beteiligten.